Nachgefragt:
Drei Fragen an die Berner Fachhochschule

Wir haben mit Ässia Boukhatmi, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule, gesprochen und ihr drei Fragen zum Thema Photovoltaik gestellt.

Die Photovoltaik in der Schweiz wächst stark. Worin liegen die grössten Herausforderungen?

Ässia Boukhatmi: Der Zuwachs neuer PV-Installationen führt gleichzeitig zu grossen Herausforderungen bei der Bewältigung der zunehmenden Mengen ausrangierter PV-Module, die am Ende ihres ersten Lebenszyklus in den Abfallstrom gelangen. Prognosen zufolge wird die Menge der erzeugten PV-Abfälle in der Schweiz weiter stark ansteigen. Bis zu 50 % dieser Module wären noch für eine zweite Nutzung geeignet, werden jedoch aber oft durch eine unsachgemässe Handhabung nach der Demontage beschädigt oder nicht ausreichend geprüft, um sich für einen weiteren Lebenszyklus zu qualifizieren. Diesen Herausforderungen zugrunde liegt ein unzureichender Datenaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren und Phasen der Wertschöpfungskette von PV-Modulen in der Schweiz. Neben den Problemen, die sich am Ende des Lebenszyklus ergeben, muss weiterhin beachtet werden, dass ein Grossteil der in Europa installierten PV-Module hauptsächlich aus Asien importiert und zu unschlagbar niedrigen Preisen vertrieben wird. Eine undurchsichtige Produktionskette und lange Transportwege tragen dazu bei, dass diese Module sowohl ökologisch als auch sozial weniger nachhaltig als die der Europäischen Hersteller sind.

Ässia Boukhatmi
Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Berner Fachhochschule
«Der Zuwachs neuer PV-Installationen führt gleichzeitig zu grossen Herausforderungen bei der Bewältigung der zunehmenden Mengen ausrangierter PV-Module, die am Ende ihres ersten Lebenszyklus in den Abfallstrom gelangen.»

Was muss getan werden, damit wir im Bereich der Photovoltaik bei der Etablierung einer echten Kreislaufwirtschaft einen entscheidenden Schritt weiterkommen?

Ässia Boukhatmi: Hierbei müssen zwei wichtige Aspekte berücksichtigt werden:  Zunächst müssen die Weichen für die Etablierung kreislauffähiger Geschäftsmodelle gestellt werden, um die Wiederverwendung von PV-Modulen in der Schweiz zu ermöglichen und diese für ihre Abnehmer attraktiv zu gestalten. Dies setzt die Schaffung der notwendigen Infrastruktur voraus, welche den sachgemässen Abbau und die Lagerung, die Testung auf Wiederverwendung und die sichere Reinstallation beinhaltet. Und diese Zwischenschritte müssen im besten Fall so kosteneffizient erfolgen, dass die Preise der Second Life Module letztlich niedriger sind als die der neuen, um auf dem Zweitmarkt attraktiv zu sein.

Weiterhin muss dieses Geschäftsmodelle durch Informationen über die PV Module und deren Herkunft gestützt werden, um effizientere Aussagen über die richtige zirkuläre Strategie (entweder Reuse oder Recycling) bereits während der ersten Nutzung treffen zu können. Hierbei sind Informationen über die Installationsphase entscheidend, um diese Abschätzungen zu ermöglichen. Langfristig sollten PV Module ausserdem mit einem Produktpass ausgestattet werden, um alle Informationen, die relevant für ein effizientes End-of-Life-Management sind für Akteure aus der nachgelagerten Wertschöpfung, beispielsweise Recycler zugänglich zu machen.

Unser Team von der BFH möchte das Vorhaben der Etablierung einer datengestützten Wiederverwendung in der Schweiz zusammen mit SENS eRecycling, Swissolar und weiteren Partnern der Solarindustrie nun umsetzen und in einem ersten Schritt den hierfür notwendigen Business Case und die Datengrundlage schaffen.

Wie kann ich als Konsument dazu beitragen, dass die Entwicklung der Photovoltaik in der Schweiz so nachhaltig wie möglich vonstatten geht?

Ässia Boukhatmi: Der wichtigste Hebel als Konsument liegt in der Kaufentscheidung für «nachhaltige» PV Module. Zertifizierungen bestätigen die Konformität der Lieferkette und die werterhaltende Verwertung der Materialien nach der ersten Nutzung. Darüber hinaus positionieren sich einige Europäische Hersteller, wie etwa Meyer Burger mit einer nachhaltigeren und transparenten Produktions- und Lieferkette, inklusive Siliziumbezug aus Europa und Herstellung von PV Modulen mit Energie aus erneuerbaren Quellen.

Ein weiterer Schritt, den Konsumenten machen können ist es, bei Schäden an der PV-Anlage, etwa durch Hagel, nur einzelne Module und nicht das ganze System austauschen zu lassen. So werden unnötige PV-Abfälle vermieden und die Systeme möglichst effizient genutzt.

Wir stehen auf dem Weg hin zu einer kreislauffähigen Gesellschaft in der Schweiz noch ganz am Anfang, deshalb ist es wichtig, dass alle Akteure der Solarindustrie und die Konsumenten an einem Strang ziehen, um die Thematik unter Beachtung aller ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten voranzutreiben. Wir möchten mit unserem Projekt «SwissPVcircle» nun zusammen mit SENS eRecycling und Swissolar einen wichtigen Schritt machen, um dieser Vision ein Stück näher zu kommen.